Detroit – ist das nicht die Stadt, die 2013 Insolvenz anmelden musste? Deren Bevölkerung von 1,85 Millionen im Jahr 1950 auf heute ein Drittel schrumpfte, weil die Automobilindustrie in der „Motor City“ nicht mehr genug Arbeit bot? In der viele Häuser leer stehen und Les Gold, Inhaber des größten Pfandhauses der Stadt, Star der Reality-Fernsehserie „Hardcore Pawn“ ist?
Detroit
Ja, auch das ist Detroit. Und wenn man morgens aus dem Hotel tritt, ist es auch dies: Ein altmodischer Bus mit Fahrtziel „8 Mile“ hält quietschend am Bürgersteig. „8 Mile“, so hieß auch der Eminem-Film von 2002. Und plötzlich ist alles wieder da: der Trailer Park, in dem Detroits berühmtester Rapper aufwuchs, die Battles, die er sich mit den afroamerikanischen Rappern diesseits der nämlichen Straße bot, das sich nicht Unterkriegenlassen, die Liebe zur Musik, der unbedingte Wunsch, seinen Traum zu verwirklichen. Einsteigen nach „8 Mile“ wollen wir dann aber trotzdem nicht.
Downtown Woodward Avenue
Wir laufen zur Woodward Avenue, Detroits Hauptachse, die auf einer Länge von zehn Kilometern von den Suburbs im Norden bis zum Detroit River verläuft. Vieles von dem, was Detroit ausmacht, ist im unteren Abschnitt versammelt: das 1928 eröffnete Fox Theatre mit seinen über 5.000 Sitzplätzen etwa oder das Guardian Building, das als eines der schönsten Art-déco-Hochhäuser der gesamten USA gilt.
Den berühmten „Spirit of Detroit“ muss man da auch nicht lange suchen. Der Bronzemann mit einer goldenen Kugel in der einen Hand und einer goldenen Familie in der anderen ist seit seiner Errichtung 1958 das Symbol der Stadt. Den Namen „Spirit of Detroit“ bekam er allerdings nicht vom Künstler Marshall Fredericks verpasst, sondern von den Einwohnern. Wenn die Detroit Lions (Football), die Tigers (Baseball), die Pistons (Basketball) oder die Red Wings (Eishockey) in einem Play-off stehen, wird ihm gerne ein entsprechendes Riesentrikot übergestreift.
Coole Cafés wie das Hudson’s oder Roasting Plant gibt es auch hier in Downtown – und die Detroit Water Ice Factory. Der Laden ist kein gewöhnliches Eiscafé, denn der Gewinn geht zu hundert Prozent an die gemeinnützige Organisation „SAY Detroit“, die sich seit 2006 um Obdachlose kümmert und Nachbarschaftsprojekte unterstützt. Solch eine Unternehmung unterstützt man nur zu gerne. Und lecker sind die zuckerfreien Slushes sowieso.
Ratter, ratter, ratter. Über uns fährt der „People Mover“, eine vollautomatisch betriebene Hochbahn mit 13 Stationen. Baukosten des innerstädtischen Hochbahnrings von 1987: 200 Millionen US-Dollar. Jährliche Instandhaltungskosten: mindestens fünf Millionen. Anzahl der Fahrgäste pro Tag: höchstens ein paar Dutzend. Auch das ist Detroit, denken wir verwundert und laufen weiter zum „Renaissance Center“ am Detroit River.
Das „RenCen“ darf ebenfalls als Fehlplanung bezeichnet werden. Wie der People Mover sollte auch der 1977 fertiggestellte Gebäudekomplex die Innenstadt aufwerten, war jedoch von Anfang an ein Fremdkörper, weil er nicht mit der Stadt und ihren Bedürfnissen verbunden ist. Seit 2004 hat General Motors hier seinen Firmensitz.
ImpressionsImpressions
Doch unterkriegen lassen gilt nicht in Detroit, Stillstand schon gar nicht. Auf dem Gelände des „Hudson’s“ – dem einstmals größten Kaufhaus der Welt – entsteht derzeit ein ultramodernes Erlebnis- und Geschäftszentrum. Geplanter Eröffnungstermin: 2025. „Michigan Central“, Detroits ehemaliger, 70 Meter hoher Bahnhof, ist bereits entsprechend umgewidmet. 2024 haben unter anderem Ford und Google Quartier in dem monumentalen Gebäude bezogen, das sich nun als „Mobilitäts-Forschungscampus“ ausweist.
Mobil sein kann man aber auch mit dem Fahrrad gut in „Motown“, besonders auf dem neuen River Walk, der bis Belle Isle führt. Fährt man von der grünen Ausflugsinsel zurück ins Zentrum, erblickt man die propere kanadische Kleinstadt Windsor am anderen Ufer des Detroit River. Es sei der einzige Ort in den USA, wo man von Norden nach Kanada blicken kann, sagen die Detroitians nicht ohne Stolz.
Am nächsten Morgen nehmen wir die Straßenbahn. Detroits neue „QLine“ fährt die gesamte Woodward Avenue hoch und ist ein echter Gewinn für die Stadt. Ungefähr auf halber Strecke steigen wir aus. Wir sind in Midtown, wo mit dem Detroit History Museum und dem Detroit Institute of Arts gleich zwei Schwergewichte im Besuchsprogramm von „The D“ liegen. Besonders das Kunstmuseum ist beeindruckend. Allein fünf van Goghs hängen in dem 1885 eröffneten Gebäude.
Nur ein paar Schritte weiter südlich liegt sein zeitgenössisches Pendant, das Museum of Contemporary Art. Untergebracht ist es in einem ehemaligen Autohaus, das von dem deutschstämmigen Albert Kahn entworfen wurde. Kahn schuf über 800 Gebäude in Detroit: Kirchen, Büros, Autofabriken und eben auch Autohäuser.
Impressions
Auf der gegenüberliegenden Seite der Woodward Avenue wird es noch cooler. In der kleinen Canfield Road sind sowohl das Modegeschäft Robyn Detroit, der Uhrenhersteller Shinola als auch Third Man Records zu Hause, das Label des Detroiter Musikers Jack White. Der frühere Sänger und Gitarrist der White Stripes hat es 2001 gegründet. Seit 2017 werden hier auch Platten gepresst. Die Anlage war das erste neue Presswerk in den USA seit 1965.
Es ist voll ausgelastet, wie man auf einer Führung durch die Produktionshalle erfährt. Vinyl boomt. Und so werden neben obskuren Indie-Singles und alten White-Stripes-Aufnahmen auch Sammlereditionen bekannter Alben gepresst. Eben läuft blaues Granulat für den Rolling-Stones-Klassiker „Exile on Main Street“ von 1971 ein, das die Maschinen zu warmen, runden Platten pressen. Die Überstände müssen dann nur noch abgebrochen werden.
Absolut klassisch ging es natürlich auch am 2648 W Grand Boulevard zu, wo Berry Gordy Jr. 1959 das legendäre Label Motown Records gründete. Gordy war Boxer, Plattenhändler und Fließbandarbeiter bei Ford, ein echter Detroiter also. Aber er war auch ein begnadeter Musikmanager, der die besten Komponisten und R’n’B-Musiker seiener Zeit zusammenführte. Die Supremes, die Four Tops, die Temptations, Jackson 5: Sie alle spielten ihre Songs im Keller von Gordys Wohnhaus ein und trugen den unverwechselbaren Motown-Sound in die Welt.
Third Man Records
Heute ist in dem weißen Gebäude mit dem Schriftzug „Hitsville USA“ das Motown Museum untergebracht. Es lohnt sich sehr, die familiären Räumlichkeiten im Rahmen einer Führung kennenzulernen. Zur Anreise allerdings sollte man das Auto nehmen. Kein Problem in Detroit: Der Grand Boulevard befindet sich gleich hinter der Interstate 94.
AMERICA GUIDE
DETROIT
Delta fliegt direkt ab Frankfurt und München, Lufthansa ab Frankfurt in die „Motor City“ (delta.com, lufthansa.com). Schöne Innenstadthotels sind z.B. das Cambria (cambriadetroit.com) und das Shinola (shinolahotel.com). Einen sehr coolen Tag kann man in Midtown verbringen beim Besuch des DetroitInstitute of Arts (dia.org) und des Museum of Contemporary Art Detroit (mocadetroit.org). Third Man Records ist ebenfalls fußläufig (thirdmanrecords.com). Die Tour durchs Motown Museum dauert rund zwei Stunden (motownmuseum.org). Der umgebaute Bahnhof Michigan Central kann auf einer 90-minütigen Führung mit „Detroit History Tours“ besichtigt werden (detroithistorytours.com).
Detroits Ruf als Autostadt wurde am 27. September 1908 gegründet, als das erste Model T aus der Werkstatt lief. Mit dem Tin Lizzy, der „Blechliesl“, schuf Henry Ford zum ersten Mal ein erschwingliches Auto, indem er es auf dem Fließband produzieren ließ. Die standardisierten Arbeitsschritte senkten die Herstellungskosten erheblich. Zu bewundern ist die Modellreihe im Ford Piquette Avenue Plant Museum in Detroit. Das Model T fahren allerdings geht nur im Greenfield Village in Dearborn. In dem weitläufigen Museumsdorf vor den Toren Detroits ließ Henry Ford eine Art ideales Amerika bauen mit Musterfarm, Windmühle und historischen Gebäuden wie dem Laboratorium seines Freundes Thomas Edison. Ford ließ es Stück für Stück ins Greenfield Village versetzen.
Gleich nebenan liegt das Henry Ford Museum of American Innovation, weshalb beide meist als „The Henry Ford“ zusammengefasst werden. Autos spielen auch hier eine Rolle, so ist neben den Limousinen von fünf US-Präsidenten etwa auch ein kurioser Hot-Dog-Wagen ausgestellt. Mehr als das jedoch ging es Ford um Schaffenskraft an sich, um Mut, Offenheit und Entschlossenheit, wie er sie nur in Amerika möglich sah. Das schloss gescheiterte Projekte wie ein zusammenfaltbares Wohnhaus aus Aluminium aus den 1940er-Jahren explizit mit ein.
Auch die Autoproduktion der Gegenwart lässt sich übrigens in Dearborn besichtigen: auf der Ford Rouge Factory Tour. Der Großraum Detroit ist noch immer der größte Autoproduktionscluster in Nordamerika.
Das Visit USA Committee Germany e.V. ist ein Zusammenschluss von über 150 Unternehmen, die gemeinsam den Tourismus aus Deutschland in die USA fördern. Das Visit USA Committee Germany ist damit das führende Netzwerk für den US-Tourismus in Deutschland.