Auf und Davon - Upper Peninsula, Michigan
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Auf und Davon - Upper Peninsula, Michigan

AMERICA Journal 1/2025

Letzte Änderung 14.05.2025

Auf der Upper Peninsula, kurz U.P., erzählt man sich noch heute diese Anekdote: Vor etwa 20 Jahren fuhr eine ältere Dame auf der Mackinac Bridge nach Norden und steuerte die erstbeste Bank an, die sie finden konnte. In St. Ignace fragte sie den Schalterbeamten, ob er ihre amerikanischen Dollar in kanadische tauschen könne. „Sie sind hier noch immer in den USA, meine Liebe, kanadische Dollar bekommen sie erst in Sault Ste. Marie.“
Die Autofahrerin ist nicht die einzige, die Michigans nördliche Halbinsel ins Abseits rückt. Bis heute schlagen selbst Wetterkarten im Fernsehen sie bisweilen Kanada oder Wisconsin zu, manchmal sogar keinem von beiden. Dann klafft ein weißes Loch zwischen Lake Superior, Lake Michigan und Lake Huron. Dabei gehört das waldreiche Gebiet, das rund ein Drittel der Fläche Michigans einnimmt, seit seiner Gründung 1837 eindeutig zu ihm. 

Big Mac verbindet

Wobei: So eindeutig ist es auch wieder nicht. Präsident Jefferson wollte die Halbinsel dereinst einem nördlichen Midwestern-Staat namens „Sylvania“ zuschreiben, andere wollten sie mit einem Teil Wisconsins zum Staat „Superior“ oder „Ontonagon“ verschmelzen. 1962 gründete sich auch auf der U.P. eine kleine Unabhängigkeitsbewegung, doch die „Upper Peninsula Independence Association“ konnte nicht genügend Unterschriften für ihr Begehr sammeln. 
Was blieb, sind die Yoopers, wie sich die 300.000 Einwohner der U.P. (deutsch: „Juu Pi“) selbst bezeichnen. Sie machen zwar nur etwa drei Prozent der Einwohner Michigans aus, dem regionalen Eigensinn tut dies aber keinen Abbruch, im Gegenteil. Man ist stolz darauf, ein bisschen anders zu sein. Wie anders es hier ist, merkt man, sobald man „Big Mac“ passiert hat. So wird die gewaltige, acht Kilometer lange Mackinac Bridge hier genannt. Bis heute ist sie die einzige Verbindung von Michigans Lower und Upper Peninsula. Vor ihrem Bau 1957 musste man Fähren nehmen, um in den abgelegenen Norden zu gelangen.  
Wälder, nichts als Wälder. Eine Stunde weiter auf der Interstate 75, und wir wären tatsächlich an der kanadischen Grenze, wo wir in der Doppelstadt Sault Ste. Marie die berühmten Soo Locks bewundern könnten. Die Schleusen ermöglichen den Schiffsverkehr zwischen Lake Superior und dem sieben Meter tiefer gelegenen Lake Huron. Gekrönt werden sie von einem weiteren Meisterwerk nordamerikanischer Baukunst, der 1962 eröffneten International Bridge. 
Zehn Minuten hinter St. Ignace biegen wir ab. Eine Brücke reicht aus. Außerdem wollen wir die wilden Naturschönheiten der Upper Peninsula kennenlernen, denn dafür hat sie auf jeden Fall einen festen Platz auf der Landkarte. Wo sonst ergießt sich ein Wasserfall direkt in einen der Großen Seen, kann man stundenlang durch unberührte Wälder und Küstenlandschaften streifen und sich vorher mit Pasteten stärken? Die U.P. ist ein Paradies für Outdoorfans und Individualisten.
Ein Kaffee wäre jetzt nicht schlecht, denken wir, während uns eine einsame State Route 123 durch blickdichtes Grün gen Nordwesten schickt. Kaffee gibt es aber erst im Örtchen Paradise an einer Tankstelle, davor steht ein lebensgroßer Plastikbär in Warnweste. Tiere begleiten uns auch auf den restlichen Kilometern nach Whitefish Point: Pinguine, Enten, Weißfische, allesamt aus Holz, allesamt Briefkästen. Zwischen den Bäumen glitzert das sommerliche Türkis des Lake Superior.
So friedlich ist es jedoch nicht immer hier. Im Herbst und Winter zählt der Uferabschnitt zwischen Grand Marais und Whitefish Point zum gefährlichsten der Großen Seen überhaupt. Dutzende Schiffe sind in den eiskalten Stürmen gesunken, darunter die „Edmund Fitzgerald“, die Eisenerz geladen hatte und im November 1975 mit 29 Mann an Bord versank. Die Katastrophe erschütterte die ganze USA, auch der kanadische Sänger Gordon Lightfood widmete ihr einen Song. 

Ohne Salz und Haie

1994 konnte wenigstens die Schiffsglocke geborgen werden. Seither ist sie das meistbestaunte Ausstellungsstück im kleinen Great Lakes Shipwreck Museum in Whitefish Point. Nebenan steht der älteste Leuchtturm am Lake Superior. Er ist von 1849. Am Strand liegen angespülte Baumstämme. Menschen in Fleecejacken laufen barfuß am Ufer, die Sonne strahlt, und eigentlich, überlegen wir, könnte man jetzt direkt reinspringen in den Lake Superior. Wie hieß es so schön auf einem Autoaufkleber? „Great Lakes – Unsalted & Shark Free“. Mit 15 Grad Wassertemperatur ist das aber nur etwas für Hartgesottene.
Zwei Stunden später schüttet es wie aus Eimern. Die Scheibenwischer kommen kaum nach, als wir den Tahquamenon Falls State Park erreichen. Sollen wir da wirklich raus? Aber ja, die anderen machen es doch auch. Den zweitgrößten Wasserfall östlich des Mississippi sieht man nicht alle Tage – wenn man ihn denn sieht vor lauter Regen. Die vielen Familien und Wandergruppen stört das nicht, im Gegenteil: Auf der U.P. nimmt man die Natur, wie sie ist. Und am Barbecue-Stand mit dem schönen Namen „U.P. in Smoke“ ist man dann auch fast wieder trocken.
Michigans extremer Norden hält aber auch bereits erwähnte Fleischtaschen bereit, wie wir am nächsten Tag in Munising, rund zwei Autostunden westlich der Tahquamenon Falls, erfahren. Die Pasteten von „Miner’s Pasties“ kommen dem Original aus Cornwall erstaunlich nahe – ein kleines Stück England am großen Wasser des Lake Superior. Um 1800 kamen die ersten Immigranten, um auf der Upper Peninsula Eisen, Kupfer und Nickel aus der Erde zu holen. Ihre Küche hat sich bis heute erhalten. 

2.200 Sonnenaufgänge

Die Bodenschätze und der Waldreichtum waren auch der Grund, weshalb der Staat Michigan nicht von der U.P. lassen wollte. Heute ist der Tourismus vielerorts die Haupteinnahmequelle, so auch in Munising mit seinen gerade einmal 2.000 Einwohnern. Für eine Kleinstadt dieser Größe ist erstaunlich viel los. Außer Pasteten kann man sich im „Falling Rock Cafe and Bookstore“ an frischen Zimtrollen und selbstgeröstetem Kaffee laben.
Die meisten kommen aber nicht deswegen hierher und auch nicht, um die berückend schöne Wanderung vom Miners Castle Rock zum fast menschenleeren Miners Beach zu genießen, sondern um mit dem Ausflugsschiff zur  Pictured Rocks National Lakeshore zu fahren. Achtmal am Tag legen die „Pictured Rocks Cruises“ ab zur zweieinhalbstündigen Tour. Unsere startet um 18 Uhr. Volltreffer: Der Himmel reißt auf, die Abendsonne taucht die 140 Passagiere auf dem Oberdeck in mildes Licht.
Das Schiff tuckert los, passiert das vorgelagerte Grand Island – und nimmt Fahrt auf. Festhalten, das ist ein Speed Boat! Nach einer Viertelstunde haben wir die ockerfarbige Steilküste erreicht, die sich nun in vollendeter Einsamkeit über 20 Kilometer am Lake Superior entlangzieht. Ausgewaschene Metalle sorgen für irres Violett und Grün in den Sandsteinschichten. Am „Lover’s Leap“, einem ikonischen, mit Bäumen bewachsenen Felsbogen, entlässt ein Zubringerschiff Kanuten.  Dann hat unser Kapitän mit seinem Joystick die Spray Falls erreicht. Der Wasserfall stürzt direkt in den Lake Superior. 140 Handys werden gleichzeitig gezückt. 
Ob Bugsy Sailor sie auch aufgenommen hat? Wahrscheinlich nicht. Vor Sonnenaufgang fahren die Ausflugschiffe nicht zu den Pictured Rocks, und Bugsy Sailor fotografiert eben dies: Sonnenaufgänge. Am 1. Januar 2019 zog er das erste Mal mit der Kamera los. Es folgten 364 weitere Sonnenaufgänge. 2020 noch einmal das komplette Programm, 2021 ebenso. Bei Wind, Regen, Sturm, Kälte und in aller Herrgottsfrühe. Mehr als 2.200 Sonnenaufgänge sind auf diese Weise bis heute zusammengekommen, denn, so Bugsy, der in seiner Heimatstadt Marquette noch etliche weitere Projekte betreibt: „Egal wie grau der Tag auch ist, die Sonne geht jedes Mal auf.“
Wir entdecken die Bilder fein aufgereiht in einem Holzregal im „Upper Peninsula Supply“, einem wunderschönen Andenkenladen auf Marquettes Haupteinkaufsstraße, der Washington Street. Auch ein minimalistisches Handbuch über Äxte gibt es hier. Eisschollen, sommerliche Dünen, Hafenanlagen: Bugsys Aufnahmen sind ein Almanach des Aufbruchs, und wir wissen nicht, worüber wir mehr staunen sollen: auf was für Ideen die Leute hier kommen, oder mit welcher Zähigkeit sie diese verfolgen.

Ehemaliges Kino

Marquette ist mit gut 20.000 Einwohnern die größte Stadt auf der U.P. Zur Boomzeit vor gut 100 Jahren wurden hier Tausende Tonnen Eisenerz pro Woche über den Lake Superior verschifft. Die weitläufigen Hafenanlagen liegen nun zwar weitgehend still, die schönen alten Gebäude in der „Queen City of the North“ aber haben sich erhalten und werden neu belebt. Gleich neben dem Upper Peninsula Supply etwa ist das Delft Bistro in ein ehemaliges Kino gezogen. Das Menü ist ausgezeichnet, und selbstverständlich wird auch „Float Copper“, wie das Lagerbier der Blackrocks Brewery heißt, hier frisch gezapft.
Am letzten Tag unserer kleinen Entdeckertour auf der U.P. laufen wir dann doch hinein in den Lake Superior – auf einem Steindamm, der fast einen Kilometer lang bis zum Presque Isle Harbor Breakwater Light gebaut wurde. Der Leuchtturm schützt seit 1902 Marquettes Hafeneinfahrt. Das Wasser glitzert, die Sonne ist auch heute wieder aufgegangen. Noch grandiosere Aussichten haben wir von den Sugarloaf Mountain Observation Decks etwas außerhalb der Stadt. Um auf die 140 Meter Seehöhe zu gelangen, muss man ein wenig kraxeln, was der johlenden Schulklasse vor uns spielend gelingt.
Aber dann: durchatmen und den Blick über die grünen Wälder und den tiefblauen Lake Superior schweifen lassen. Was für eine Weite! Irgendwo im Norden liegt tatsächlich Kanada, im Westen die Keweenaw Peninsula, und noch weiter, mitten im Lake Superior, die Isle Royale, Michigans einziger Nationalpark, der so abgelegen ist, dass man ihn erst nach vier Stunden Fährfahrt aus Copper Harbor erreicht. Aber all das sieht man natürlich nicht von hier oben, es ist Hunderte einsame Kilometer entfernt.

AMERICA GUIDE
MICHGANS UPPER ­PENINSULA

Anreise
Von Detroit sind es über 700 Kilometer nach Marquette, der größten Stadt der Upper Peninsula. Als Zwischenstopp ­bietet sich das elegante Mackinac Island an (mackinacisland.org). Per Flugzeug ist Marquette täglich mit Detroit, Minneapolis und Chicago verbunden (delta.com und aa.com).

Munising
Das Great Lakes Shipwreck Museum in Whitefish Point (shipwreckmuseum.com) und der Tahquamenon Falls State Park sind Highlights im Osten. Von ­Munising (munising.org) aus steuert Picture Rock Cruises (picturedrocks.com) mehrmals täglich die Pictured Rocks National Lakeshore an (nps.gov/piro). 

Marquette
In Marquette (travelmarquette.com) erzählen das Regional History Center (marquettehistory.org) und der Iron Ore Heritage Trail (ironoreheritage.com) von der Minengeschichte auf der U.P. Der 75 Kilometer lange Trail führt vom Hinterland in die Stadt und kann gut mit dem Rad gefahren werden. Die Stadt zum Genuss machen das Delft Bistro (thedelftbistro.com) und der Upper Peninsula Supply (upsupply.co). Bugsy Sailors Sonnenaufgangsfotos können auch im Internet aufgerufen werden (bugsy.me).

Weitere Infos zu Michigan unter michigan.org
Weitere Infos:
America Journal
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Kostenfreie weitere Informationen und Beratung:

Julia Latka
https://www.latka.de